»Enjoy!«, flüstert einem die Kaffeemaschine zu, während aus dem Flur Atatürk höchstpersönlich einen kritischen Blick Richtung Esstisch wirft. Ob er sich wie deren Eigner, Yeşim und Ömer Yaprakkıran, ebenfalls eine türkischsprachige Variante der Maschine wünscht? Das Künstlerpaar jedenfalls würde auch eine deutsche Version begrüßen – doch leider gab es beide nicht. Die Maschine, welche ebenfalls Tee zubereitet, ist ein Geschenk der Tochter und steht im Mittelpunkt der Wohnung, dem offenen Wohn- und Essbereich. Ihr gegenüber: der von Yeşim gewählte Ort für ihre Kunst: hell, luftig, zu allen Seiten offen. Wie ihr Arbeitsstil: Oft sind es mehrere Aquarelle, die gleichzeitig entstehen. Während eines trocknet, wird das nächste angelegt. Eine Pause, gerne gefüllt mit einer guten Tasse türkischen Tees, serviert in kleinen Gläsern. Natürlich auch für Gäste. Heute ist der große Holztisch in diesem Atelierbereich eigens für den Besuch mit einer Tischdecke versehen. Eine Decke in der Art, wie die Künstlerin sie als Lehrkraft an der Textil Ingenieurs School in Izmir mit ihren Student*innen per Siebdruck angefertigt hat.
Gegenüber von Yeşims Atelierbereich, auf der anderen Seite des hellen Flurs, öffnet sich eine Tür zu Ömers Raum. Im Gegensatz zu seiner Frau, welche am liebsten zuhause arbeitet, bespielt ihr Mann oft ergänzend ein externes Atelier. Auch in der gemeinsamen Wohnung setzt er auf einen eigenen Raum. Abgegrenzt, zurückgezogen, konzentriert auf sich. Doch gleichzeitig offen gegenüber Philosophie, Geschichte, Religion, Weltpolitik. Ein Blick in den Raum ist ein Blick in einen eigenen Kosmos: Regalmeter mit Büchern umrahmen und inspirieren den ehemaligen Mitarbeiter der Tageszeitung »Hürriyet« und seine Werke. In diesen allgegenwärtig: der Mensch. Und: Ömers hinterfragender Blick auf diesen. Sei es die unterwürfige Haltung des Papstes gegenüber dem chilenischen Diktator Pinochet oder die Zeichnung von Sacco und Vanzetti, zwei italienischen Einwanderern, Justizopfer in den USA der 1920er Jahre. Ömer zeichnet, was sein kritischer Geist auffängt. Seitenhiebe, Fingerzeige, Kritik. Früheres wieder aufgreifend, um ihnen Platz im Hier und Jetzt zu geben. Ihre Aktualität herausarbeitend. Doch manchmal auch ganz im Hier und Jetzt: mit dem gehetzten Menschen mit den beiden Discounter-Tüten.
Und das Hier und Jetzt der Yaprakkırans? Ein moderner Neubau im Dreieicher Stadtteil Sprendlingen, in dem die L-förmige Wohnung samt sonniger Dachterrasse liegt. Er kam in den 70er, sie in den 80er Jahren nach Deutschland. Neu-Isenburg war eine wichtige Station für sie, wo sie bis heute in zwei Künstler*innen-Gruppen sind. In Sprendlingen, um die Ecke, leben sie seit einigen Jahren. Die Wohnung ist Lebens- und Arbeitsraum – so unterschiedlich beide darin auch sein mögen. Zwei Künstler, zwei Arbeitsweisen: Auf der einen Seite ein Rückzugsort, Abgrenzung, Planung, Konzentration – und doch auch eine Suche im Äußeren nach Themen, Ereignissen. Auf der anderen Seite Öffnung zum Leben, zum umgebenden Raum, zum Alltag, mit allen Verflechtungen und Zufällen – gleichzeitig eine Suche im eigenen Inneren. Auch Yeşim zieht ihre Inspiration von außen wie von innen. Aktuell ziert ihre Staffelei ein Seestück. Das Meer, der blaue Himmel – auch hier eine Weite. Sehnsucht nach Meer, nach mehr. Dies könnte Überschrift für ihre Werke sein. Das Meer, das die in Izmir geborene Textildesignerin ihr Leben lang begleitet(e). Früher in Sichtweite des Zuhauses, hat es nach wie vor einen festen Platz in ihrem Leben. Ein Sehnsuchtsort zum Eintauchen. Ein Ort, auf den sie von Beginn an in Deutschland hinter jeder nächsten Kurve hofft(e). So wie früher eben. Das Vertraute. Wiedergegeben in ihrer Kunst. Mal als Aquarell, mit grafischen Elementen, mal in einer Collage aus selbst gefärbten Papieren und Zeitungsfetzen.
Man neigt schnell dazu, Klischees zu suchen. Allemal bei zwei türkischen Künstler*innen in Deutschland. Und läuft damit zumindest hier schnell ins Leere. Familie, Freunde, Landschaften – und immer wieder das Meer. Als würde es alles einen, umfassen: Erfahrungen, Schicksalsschläge, Gedanken – die ganze Bandbreite der eigenen Gefühle. Kunst als Resonanzkörper des Lebens. Ein Leben, in dem sicherlich die Herkunft eine Rolle spielt. Aber auch die Türkei, die beide nach wie vor prägt, ihre Kunst? Sicherlich, aber eher als Kindheit, als Vergangenheit, sagen sie. Istanbul, früher Wohn-, Arbeits-, Studienort, Lebensmittelpunkt für beide Künstler*innen, ist eben genau das: Vergangenheit. Zumal es sich verändert hat, Tourismus, Anglizismen, Retro-Tee Gärten für Reisende. Damals, als man auch in der Metropole noch Zeit und Muse für eine gute Tasse Tee im Schatten von alten Bäumen hatte. Nein, es wäre unvollständig, beide als türkische Künstler*innen in Deutschland zu sehen. In ihrer Wohnung und in den Werken und Gesprächen kann man in viele Welten eintauchen. Im Raum steht ein Wort des ersten Direktors des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, Jean-Christophe Ammann, zur Aufgabe der Künstler*innen in der Gesellschaft: stellvertretend für diese ihr eigenes Selbst erforschen (ver).